Mehrarbeitszuschläge trotz Urlaubs? Zeitarbeitstarifvertrag teilweise unwirksam

24.01.2022  • Arbeitsrecht / Mönchengladbach

Wer Urlaub macht, verliert dadurch nicht den Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge. Wenn Mehrarbeitszuschläge erst ab einer bestimmten Mindestzahl an Arbeitsstunden gezahlt werden, zählen auch Urlaubszeiten für das Erreichen des Schwellenwerts.

Mehrarbeitszuschläge trotz Urlaub?

Bei Überstunden werden oft Zuschläge gezahlt. Solche Mehrarbeitszuschläge fallen normalerweise bereits bei Überschreiten der täglichen Regelarbeitszeit an, manchmal aber erst wie etwa in der Zeitarbeitsbranche für Leiharbeitnehmer, wenn eine bestimmte Anzahl von Stunden im Monat überschritten wird. Was aber, wenn dieser Schwellenwert nicht erreicht wird, weil Urlaub dazwischen gekommen ist? Zählen die Urlaubsstunden dann mit oder gibt es dann keine Zuschläge? Mit dieser Frage hat sich der Europäische Gerichtshof (EUGH) befasst und erneut im Zusammenhang mit Urlaubsansprüchen Zweifelsfragen geklärt. In der Entscheidung vom 13. Januar 2022 – C-514/20 – hat der EuGH entschieden, dass auch Urlaubszeiten für die Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen berücksichtigt werden müssen, wenn andernfalls  Arbeitnehmer davon abgehalten werden, Urlaub zu dem gewünschten Zeitpunkt zu nehmen.

Der Sachverhalt

In einem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag für Leiharbeit ist geregelt, dass bei mehr als 184 Stunden Arbeitszeit im Monat ab Beginn der 185. Stunde Mehrarbeitszuschläge anfallen. Von 23 Arbeitstagen eines Monats hatte der Arbeitnehmer 13 Tage gearbeitet und zehn Tage Urlaub erhalten. Insgesamt waren damit mehr als 206 Stunden abzurechnen. Der Arbeitgeber hatte aber keine Mehrarbeitszuschläge berechnet, weil er die 84 Urlaubstunden nicht mitgezählt hat. Das Bundesarbeitsgericht hatte Zweifel, ob damit der Arbeitnehmer nicht davon abgehalten wurde, seinen Urlaub zu nehmen und deshalb den EuGH angerufen.

Der rechtliche Hintergrund und die Entscheidung des EuGH

Art. 31 der Grundrechtecharta der Europäischen Union und die Richtlinie 203/88/EG regeln Arbeitszeit- und Urlaubsfragen. Diese Vorschriften müssen nach der Entscheidung des EUGH so ausgelegt werden, dass Arbeitnehmer nicht daran gehindert werden, ihren Jahresurlaub zu nehmen. Eine tarifvertragliche Regelung darf deshalb nicht so ausgestaltet sein, dass Urlaubsstunden bei der Berechnung eines Schwellenwertes für die Bezahlung von Mehrarbeitszuschläge unberücksichtigt bleiben. Wenn die Inanspruchnahme von Urlaub zu einem geringeren Entgelt des Arbeitnehmers führt, ist das – so der EuGH – geeignet, den Arbeitnehmer davon abzuhalten, in einen solchen Monat Urlaub zu nehmen. Das kann sein europarechtlich garantiertes Recht auf bezahlten Urlaub beschränken und ist deshalb unzulässig.

Ob das im konkreten Fall so ist, hat der EuGH nicht geklärt, sondern nur die Grundsätze benannt. Das BAG muss dies jetzt auf der Grundlage der Feststellungen des EuGH entscheiden. Es ist aber davon auszugehen, dass nach dieser Grundsatzentscheidung des EuGH die in Streit stehende tarifvertragliche Regelung europarechtswidrig ist und deshalb nicht angewandt werden darf. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden deshalb die Urlaubsstunden für das Erreichen des Schwellenwerts mitgerechnet und wird der Arbeitnehmer für die den Schwellenwert von 184 Stunden überschreitenden Stunden Mehrarbeitszuschläge erhalten müssen.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung bedeutet nicht, dass generell auch für Urlaubstage Mehrarbeitszuschläge bezahlt werden müssen. Sie spielt aber eine Rolle und wird zu beachten sein, wenn aufgrund tarifvertraglicher oder arbeitsvertraglicher Regelungen Mehrarbeitszuschläge nicht täglich, sondern erst ab einer bestimmten Stundenzahl in der Woche oder im Monat berechnet werden. Dann werden für die Frage, ob der Schwellenwert erreicht ist, die Urlaubsstunden mit zu rechnen sein, so dass dann mindestens auf die tatsächlich geleisteten Stunden, soweit sie zusammen mit den Urlaubsstunden den Schwellenwert überschreiten, Mehrarbeitszuschläge gezahlt werden müssen. Es ist deshalb empfehlenswert, bei der Abrechnung und deren Kontrolle diese Grundsatzentscheidung zu berücksichtigen.




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