Höheres Arbeitslosengeld nach bezahlter Freistellung?

27.12.2018  • Arbeitsrecht / Mönchengladbach / Sozialrecht

Während der bezahlten Freistellung erzieltes Arbeitsentgelt ist für die Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes zu berücksichtigen. Das hat das Bundessozialgericht entschieden. In der Freistellungszeit besteht ein "versicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis".

Auch während der bezahlten Freistellung erzieltes Arbeitsentgelt ist für die Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes maßgeblich, obwohl dann, wenn es um Sperrzeiten oder Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs geht, die Freistellungszeit als Arbeitslosigkeit gilt. Das Bundessozialgericht unterscheidet insoweit zwischen dem versicherungsrechtlichen und dem leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis. Die Frage ist wichtig, weil insbesondere bei langen Freistellungszeiträumen andernfalls eine niedrigere fiktive Leistung Bemessung des Arbeitslosengeldes droht.

Das Problem

Für die Höhe des Arbeitslosengeldes (ALG) ist der Verdienst der letzten zwölf Monate vor dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis maßgeblich. Wenn nicht mindestens 150 Tage innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem Ausscheiden Arbeitsentgelt abgerechnet und erzielt worden ist, wird das Arbeitslosengeld fiktiv bemessen (§ 152 SGB III). Die Höhe richtet sich dann nach abstrakten Qualifikationsstufen. Meist ist das Arbeitslosengeld insbesondere bei ehemals gut verdienenden Arbeitslosen dann niedriger, als wenn das letzte Entgelt zugrunde gelegt wird.

Die Agentur für Arbeit hat in der Vergangenheit stets Zeiten einer Freistellung nicht berücksichtigt, weil sie der Auffassung war, dass in diesen Zeiten kein Beschäftigungsverhältnis vorgelegen hat, weil die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis bis auf die Entgeltzahlungspflicht nicht mehr bestünden. Insbesondere habe der Arbeitgeber bei der unwiderruflichen Freistellung auf sein Weisungsrecht verzichtet. Mit dieser Begründung wird etwa bei der Frage, ob etwa wegen einer Abfindungszahlung eine Sperrzeit eintritt oder der Arbeitslosengeldanspruch ruht, das sozialrechtliche Beschäftigungsverhältnis trotz weiter bestehendem ruhenden Arbeitsverhältnis mit Beginn der unwiderruflichen Freistellung als aufgehoben angesehen. Das führt dazu, dass eine Sperrzeit nach § 159 SGB III und ein Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs (§ 158 SGB III) bereits mit der Freistellung beginnt. Sperrzeit und Ruhen ist dann oft schon vorbei, wenn, insbesondere bei langen Freistellungen, die Entgeltzahlung endet und deshalb nahtlos Arbeitslosengeld bezogen werden kann.

Das Urteil

Das Bundessozialgericht hat aber mit Urteil vom 30.8.2018 (B 11 AL 15/17 R) entschieden, dass für die Höhe des Arbeitslosengeldes auch die Entgeltzahlung im Freistellungszeitraum berücksichtigt werden muss. Dadurch wird eine fiktive Arbeitslosengeldbemessung vermieden. Die Bundesagentur für Arbeit muss deshalb ihre Praxis bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes ändern.

Die Begründung ist juristisch etwas spitzfindig und dogmatisch auch schwer verständlich. Das Bundesozialgericht versteht nämlich den Begriff des Beschäftigungsverhältnisses nicht einheitlich, sondern unterschiedlich je nach dem, für welchen Zweck der verwendet wird. So gibt es den leistungsrechtlichen Begriff des Beschäftigungsverhältnisses, der im SGB III für Sperrzeit- und Ruhensfragen relevant ist. Danach ist ein Beschäftigungsverhältnis dann nicht mehr gegeben, wenn die wechselseitigen Hauptleistungspflichten, insbesondere das Weisungsrecht des Arbeitgebers und die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers aufgehoben sind. Deshalb kann weiterhin in solchen Fällen eine Sperrzeit oder ein Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs bereits mit Beginn der Freistellung anfangen.

Wenn es aber um die Beitragspflicht geht, versteht das Bundessozialgericht den Begriff des Beschäftigungsverhältnisses ähnlich wie den arbeitsrechtlichen Begriff des Arbeitsverhältnisses. Maßgeblich ist dabei das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses. Für die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses komme es maßgebend auf die Beitragspflicht an. Insoweit verfolge das Gesetz unterschiedliche Ziele im Hinblick auf die Gewährung von Arbeitslosengeld dem Grunde nach und bei der Ermittlung der Höhe des Anspruchs. Der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses sei deshalb „funktionsdifferent“ auszulegen.

Praxishinweise

Ob diese sehr feinsinnige Unterscheidung dogmatisch richtig ist, mag offenbleiben. Das Ergebnis ist jedenfalls pragmatisch und vernünftig. Wer einen Arbeitslosengeldbescheid erhält, bei dem die Höhe des in der Freistellung erzielten Verdienstes nicht berücksichtigt worden ist und deshalb das Arbeitslosengeld zu gering bemessen wurde, kann und sollte dagegen Widerspruch einlegen. Sofern die Widerspruchsfrist versäumt wurde, gibt es die Möglichkeit, nach § 44 SGB X einen Überprüfungsantrag zu stellen. Dann wird der Bewilligungsbescheid überprüft und gegebenenfalls ALG nachgezahlt.

 




Weitere Artikel des Autors:

Beiträge und Kommentare geben die persönliche Auffassung der jeweiligen Autoren wieder, welche nicht unbedingt der Auffassung der SWPMG entspricht. Sie dienen lediglich der Information und Diskussion, d.h. stellen keine Rechtsberatung dar und dürfen nicht als Entscheidungsgrundlage in konkreten Rechtsfällen verwendet werden.