LAG Köln schützt ältere Arbeitnehmer vor Kündigung

23.06.2011  • Arbeitsrecht / Mönchengladbach

Lebensalter geht vor Unterhaltspflicht

Bei der betriebsbedingten Kündigung findet eine Sozialauswahl statt. Ältere Arbeitnehmer sind besonders schutzbedürftig, meint das Landesarbeitsgericht Köln. Deshalb geht Lebensalter vor Unterhaltspflicht.

Wenn aus betriebsbedingten Gründen gekündigt wird, muss der Arbeitgeber eine Sozialauswahl durchführen. Er darf nicht wahllos kündigen, sondern muss prüfen, wen die Kündigung am wenigsten hart trifft. Das Kündigungsschutzgesetz schreibt dies vor (§ 1 Abs 3 KSchG). Als Vergleichsgruppe gelten dabei alle Arbeitnehmer des Betriebs, die vergleichbare Tätigkeiten verrichten und die der Arbeitgeber einseitig auf den jeweils anderen Arbeitsplatz versetzen darf.

Wer aber ist schutzbedürftiger? Der ältere und langjährig beschäftigte Mitarbeiter, dessen Kinder bereits aus dem Haus sind oder der junge Familienvater mit Unterhaltspflichten?

Das Landesarbeitsgericht Köln hält den älteren Arbeitnehmer für schutzbedürftiger, weil er gröߟere Schwierigkeiten habe, eine neue Arbeitsstelle zu finden. Zwar seien die im Rahmen der Sozialauswahl zu beachtenden Kriterien (Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung) grundsätzlich gleichrangig. Wenn aber ein Arbeitnehmer aufgrund seines Alters schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt habe, sei das Lebensalter regelmäߟig höher zu bewerten als Unterhaltspflichten, meint das LAG Köln (Urteil vom 18.2.2011, 4 Sa 1122/10)

Der Sachverhalt:
Ein 53jähriger und ein 35jähriger Arbeitnehmer waren seit 1991 beschäftigt. Beide waren Führungskräfte und verheiratet. Der ältere hatte -€“ anders als sein Kollege – keine Kinder mehr zu unterhalten, Der Arbeitgeber kündigte dem 53jährigen betriebsbedingt. Der erhob Kündigungsschutzklage und meinte, der Arbeitgeber hätte seinem 35 Jahre alten Kollegen kündigen müssen.

Das LAG gab ihm Recht.

Die Gründe:
Die Kündigung sei unwirksam, weil der Arbeitgeber die Kriterien des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht ausreichend berücksichtigt habe. Danach ist eine betriebsbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers

  • die Dauer der Betriebszugehörigkeit,
  • das Lebensalter,
  • die Unterhaltspflichten und
  • die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers

nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Zwar sind alle vier Kriterien des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG grundsätzlich gleichrangig. Der Arbeitgeber hat insoweit einen Wertungsspielraum. Ob dieser Rahmen eingehalten wird, ist aber vom Arbeitsgericht zu überprüfen. Es soll nämlich nicht sein, dass das Gebot der sozialen Auswahl faktisch ausgehebelt und praktisch jede Auswahlentscheidung hingenommen werden muss.

Nach Auffassung des LAG Köln war im konkreten Fall dieser Wertungsspielraum überschritten. Denn das Lebensalter des Klägers liegt mit 53 Jahren im schlechtestmöglichen Bereich, was die Chancen auf dem Arbeitsmarkt anbelangt. Sein Kollege  ist dagegen mit seinen 35 Jahren, seiner guten Qualifikation und seiner Berufserfahrung als Führungskraft in einem geradezu optimalen Alter, um eine neue Anstellung zu finden.

Im Zeitpunkt der Kündigung des Klägers war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der jüngere Kollege bei einer Kündigung keine Arbeitslosigkeit zu befürchten hatte, sondern innerhalb der Kündigungsfrist eine neue Arbeit gefunden hätte.

Die Berücksichtigung des Lebensalters bei der Sozialauswahl ist aber nicht unproblematisch. Es kann nämlich auch eine Altersdiskriminierung darstellen, die nach europäischem Recht verboten ist. Das Bundesarbeitsgericht (BAG Urteil vom 06.11.2008 – 2 AZR 523/07)) hat das allerdings damit gerechtfertigt, dass über dieses Kriterium individuelle Arbeitsmarktchancen berücksichtigt würden. Und dass man mit 53 Jahren auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen hat, ist nicht nur eine tägliche Erfahrung vieler älterer arbeitsloser Menschen, sondern auch vom Gesetzgeber erkannt und geregelt, stellt das LAG Köln fest. Für über 52-Jährige sind nämlich zeitlich befristete Arbeitsverhältnisse auch ohne sachlichen Grund für bis zu 5 Jahren Gesamtdauer zulässig (sonst nur bis zu 2 Jahren), weil das angeblich die Vermittlungsmöglichkeiten verbessern soll (§ 14 Abs 3 TzBfG). Wenn man berücksichtigt, dass der 53jährige Arbeitnehmer nur für 2 Jahre Arbeitslosengeld bekommt, aber noch rund 13 Jahre bis zur Rente hat, zeigt sich die Richtigkeit der Entscheidung. Solange sich die Arbeitsmarktsituation für ältere Arbeitnehmer nicht merkbar verbessert, wird man an einer solchen Bewertung nur schwerlich vorbeikommen.

Die Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung. Gegen das Urteil hat der Arbeitgeber Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt (BAG, Az: 2 AZR 293/11). Wie dieses entscheidet, ist offen.

Fazit

Selbst wenn das BAG die Entscheidung des LAG Köln bestätigt, ändert das nichts an der Notwendigkeit, jeden Einzelfall individuell zu prüfen. Es gibt keinen Automatismus, dass ältere Arbeitnehmer immer schutzwürdiger sind. Deshalb ist bei jeder Kündigung rechtzeitig anwaltlicher Rat nötig. Die Kündigungsschutzklage muss innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung bei Gericht sein. Sonst gilt die Kündigung als wirksam.




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