Kündigungsschutz im Kleinbetrieb
Kündigungsschutz auch im Kleinbetrieb
Auch im Kleinbetrieb gilt ein Mindestmaß an Kündigungsschutz. Der Arbeitgeber darf bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte nicht außer Acht lassen. Der Arbeitnehmer ist willkürlichem Handeln des Arbeitgebers nicht schutzlos ausgeliefert. Das hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in einem Urteil vom 03.11.2008 entschieden und damit unserer Berufung für unseren Mandanten stattgegeben.
Das Problem
Wie kann sich ein Arbeitgeber von Arbeitnehmern trennen, die er nicht mehr weiter beschäftigen kann oder will? Wie können sich Arbeitnehmer gegen eine Kündigung wehren, die sie für ungerechtfertigt halten? Gesetzlich geregelt ist diese Frage in erster Linie im Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Dort ist bestimmt, dass der Arbeitgeber einen sachlichen Grund für eine Kündigung braucht und im Fall eines Kündigungsschutzprozesses auch nachweisen muss. Die Kündigung ist danach nur gerechtfertigt, wenn „der Arbeitnehmer die geschuldete Leistung nicht (mehr) erbringen kann (personenbedingter Kündigungsgrund),“ der Arbeitnehmer sich grob vertragswidrig verhalten hat (verhaltensbedingte Kündigung) oder „die Beschäftigungsmöglichkeit entfallen ist (betriebsbedingte Kündigung). Wenn keine Arbeit für alle Arbeitnehmer mehr da ist, muss der Arbeitgeber diejenigen kündigen, die am wenigsten sozial schutzbedürftig sind (Sozialauswahl). Meist sind das die gesunden, jüngeren, erst kurz beschäftigten Arbeitnehmer ohne Unterhaltspflichten. Das Kündigungsschutzgesetz gilt allerdings nur in Betrieben mit mehr als regelmäßig 10 beschäftigten Arbeitnehmern und erst nach mindestens 6monatiger Beschäftigungszeit. Was aber ist in kleineren Betrieben? Darf dort der Arbeitgeber machen was er will? Dass der Arbeitnehmer auch im so genannten Kleinbetrieb nicht schutzlos ist, hatte das Bundesverfassungsgericht bereits 1998 zur alten Fassung des KSchG entschieden, als die Anwendungsgrenze noch bei 5 beschäftigten Arbeitnehmern lag (Beschluss vom 27.01.1998 - 1 BvL 15/87). Zwar hat es das größere rechtliche Risiko des Arbeitsplatzverlustes im Kleinbetrieb grundsätzlich gebilligt, aber zugleich klargestellt, dass der Arbeitgeber im Kleinbetrieb nicht unter Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) und die guten Sitten (§ 138 BGB) kündigen darf. Wann das jedoch der Fall ist, führt im Einzelfall immer wieder zu Problemen.
Der konkrete Fall
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf hatte im November 2008 (Urteil vom 03.11.2008 - AZ:14 Sa 1034/08) in einem von uns für unseren Mandanten geführten Verfahren einen solchen Fall zu entscheiden und festgestellt, dass die vom Arbeitgeber im Kleinbetrieb ausgesprochene Kündigung unwirksam war. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der am 1960 geborene Kläger ist verheiratet. In seinem Haushalt leben drei unterhaltsberechtigte eigene Kinder und zwei weitere aus der ersten Ehe seiner Frau. Der Kläger war seit dem 1976 bei der Beklagten als Monteur beschäftigt. Die Beklagte betreibtein Handwerksunternehmen mit zuletzt acht Arbeitnehmern und einem Auszubildenden. Wegen angeblicher Pflichtverletzungen erhielt der Kläger 2 Abmahnungen, die der Kläger nicht für berechtigt hielt. Die Beklagte kündigte schließlich fristgerecht zum 31.07.2008. Sie setzte u.a. das Arbeitsverhältnis mit einem anderen Monteur fort. Dieser ist ca. 40 Jahre alt, verheiratet, hat zwei unterhaltspflichtige Kinder und ist seit dem 01.07.2006 bei der Beklagten beschäftigt. Der Kläger hat sich gegen die Kündigung mit der Kündigungsschutzklage gewehrt. Diese hatte das Arbeitsgericht abgewiesen. Das LAG hat unserer Klage stattgegeben und u.a. festgestellt, dass die ordentliche Kündigung gem. § 242 BGB rechtsunwirksam war, weil der Arbeitgeber bei seiner Auswahlentscheidung das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitnehmer verletzt hat (BVerfG, Beschluss vom 27.01.1998, AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969). Auch die zuvor ausgesprochenen Abmahnungen können die Auswahlentscheidung in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht rechtfertigen, weil die Beanstandungen eindeutig nicht gravierend waren (im Anschluss an BAG, Urteil vom 28.08.2003, AP Nr. 17 zu § 242 BGB Kündigung). Es hat dabei u.a zur Begründung ausgeführt: „Die Auswahlentscheidung eines Arbeitgebers kann im Kleinbetrieb nur darauf überprüft werden, ob sie unter Berücksichtigung der Belange des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes (vgl. hierzu BVerfG, a.a.O.) und der schützenswerten Interessen des Kleinunternehmers gegen Treu und Glauben verstößt. Ein solcher Treueverstoß bei der Kündigung des sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmers ist um so eher anzunehmen, je weniger bei der Auswahlentscheidung eigene Interessen des Arbeitgebers eine Rolle gespielt haben. Hat der Arbeitgeber keine spezifischen eigenen Interessen, einem bestimmten Arbeitnehmer zu kündigen bzw. anderen vergleichbaren Arbeitnehmern nicht zu kündigen, und entlässt er gleichwohl den Arbeitnehmer mit der bei weitem längsten Betriebszugehörigkeit, dem höchsten Alter und den meisten Unterhaltspflichten, so spricht alles dafür, dass der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme außer Acht gelassen hat. Bestehen andererseits derartige betriebliche, persönliche oder sonstige Interessen des Arbeitgebers, so ist der durch § 242 BGB vermittelte Grundrechtsschutz des Arbeitnehmers um so schwächer, je stärker die mit der Kleinbetriebsklausel geschützten Grundrechtspositionen des Arbeitgebers im Einzelfall betroffen sind. In sachlicher Hinsicht geht es vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen (vgl. BAG, Urteile vom 21.02.2001 und 06.02.2003, a.a.O.)- Der Kläger hat nach Ansicht der Berufungskammer einen Sachverhalt vorgetragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB indiziert. Es kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass trotz der späteren Zeitungsanzeigen, in denen Glaser gesucht wurden, zum Zeitpunkt der Kündigung die angeführten betriebsbedingten Gründe tatsächlich vorlagen. Auch wenn man hiervon ausgeht, war jedenfalls die von der Beklagten getroffene Auswahlentscheidung in Bezug auf den im Betrieb verbliebenen Arbeitnehmer T. evident fehlerhaft. Dieser Mitarbeiter und der Kläger waren miteinander vergleichbar. Sie waren nach dem Vortrag der Parteien als Glaser/Monteure mit denselben Arbeitsaufgaben betraut. Die Funktion eines Vorarbeiters hatte die Beklagte dem Kläger bereits vor dem Ausspruch der Kündigung entzogen. Die Wirksamkeit dieser Maßnahme stand zuletzt nicht mehr im Streit. Nach den Sozialdaten des Arbeitnehmers T. ist in sachlicher Hinsicht nicht nachzuvollziehen, weshalb die Beklagte bei ihrer Auswahlentscheidung auf den Kläger zurückgegriffen hat. Der Kläger war zum Kündigungszeitpunkt nicht nur sieben Jahre älter als dieser Arbeitnehmer, sondern auch wegen der meisten Unterhaltspflichten sozial schutzwürdiger. Vor allem aber hatte der Kläger eine Betriebszugehörigkeit von 31 ½ Jahren; damit hatte er praktisch sein Berufsleben von Anfang an bei der Beklagten verbracht. Dagegen war der Arbeitnehmer T. zum Kündigungszeitpunkt gerade 1 ½ Jahre beschäftigt. Insbesondere wegen des extremen Auseinanderklaffens der Zeiten der Betriebszugehörigkeit kann es im Ergebnis keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass die Beklagte, wenn sie keine sonstigen betrieblichen Gründe für die getroffene Auswahl hatte, bei der Entlassung des Klägers ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme nicht gewahrt hat. Die von der Beklagten angeführten betrieblichen Belange sind nicht geeignet, ihre Auswahlentscheidung zu Lasten des Klägers zu rechtfertigen. Die Beklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, es müsse das in den letzten Wochen und Monaten des Arbeitsverhältnisses immer wieder zu beanstandete Verhalten des Klägers berücksichtigt werden, das letztlich auch zu den beiden Abmahnungen geführt habe.“ Es sei zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, dass bei einem besonders belasteten Vertrauensverhältnis vorherige Abmahnungen Einfluss auf die Auswahlentscheidung im Kleinbetrieb haben könnten, aber „die gebotene Berücksichtigung des durch langjährige Beschäftigung entstandenen Vertrauens erfordee „, dass der Grund für die Kündigung gegenüber langjährig beschäftigten Arbeitnehmern auch angesichts der Betriebszugehörigkeit „einleuchten“ muss. Es kann deshalb als treuwidrig zu werten sein, wenn der Arbeitgeber die Kündigung auf auch im Kleinbetrieb eindeutig nicht ins Gewicht fallende einmalige Fehler eines seit Jahrzehnten beanstandungsfrei beschäftigten Arbeitnehmers stützen will.“
Fazit
Auch für Arbeitnehmer im Kleinbetrieb lohnt eine Überprüfung der Kündigung. Nicht nur die Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist, sondern auch die Unwirksamkeit der Kündigung kann bei entsprechendem Sachverhalt erfolgreich durchgesetzt werden. Arbeitgeber tun gut daran, auch im Kleinbetrieb die Kündigungsentscheidung an sachlichen und sozialen Kriterien auszurichten.
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