EUGH: Urlaubsanspruch auch ohne Arbeitsleistung

13.02.2012  • Allgemein / Arbeitsrecht / Mönchengladbach

 EUGH bestätigt Recht auf Urlaub auch bei Krankheit. Urlaubsanspruch besteht auch, wenn kein Tag gearbeitet wurde (EUGH vom 24.01.2012- C-282/10).

Das Problem

Kann ein Arbeitnehmer Urlaubsansprüche erwerben, wenn er keinen Tag im Jahr gearbeitet hat? Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes (EUGH) ist das so. Eine nationale Regelung, die den Urlaubsanspruch davon abhängig macht, dass eine effektive Mindestarbeitszeit von z.B. 10 Tagen vorliegen muss, ist mit Unionsrecht nicht zu vereinbaren.

Der Fall

Eine französische Arbeitnehmerin hatte auf dem Weg zur Arbeit einen Unfall und war arbeitsunfähig. Deshalb erfüllte sie nicht die in Frankreich geltenden Voraussetzungen für einen Urlaubsanspruch. Dafür hätte sie mindestens 10 Tage effektiv gearbeitet haben müssen. Eine auf einem Wegeunfall beruhende Arbeitsunfähigkeit zählt in Frankreich nicht als Arbeitszeit. Das französische Gericht (Cour de Cassation) hat dem EUGH die entscheidungserhebliche Frage vorgelegt, ob die französische Regelung mit europäischem Recht vereinbar ist.

Die Entscheidung des EUGH

Nach der Entscheidung des EUGH lässt die Richtlinie über Arbeitszeitgestaltung (Richtlinie 2003/88/EG) eine nationale Regelung nicht zu, die einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von einer effektiven Mindestarbeitszeit von zehn Tagen abhängig macht. Sie verpflichtet vielmehr die Mitgliedstaaten zum Erlass der erforderlichen Maߟnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen gemäߟ den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften erhält (Art. 7).

Das Recht eines Arbeitnehmers auf den Jahresurlaub darf nicht beeinträchtigt werden, wenn der Arbeitnehmer infolge einer Krankheit oder infolge eines Unfalls am Arbeitsplatz oder anderswo ordnungsgemäߟ krankgeschrieben ist. Der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub ist ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union. Die Mitgliedstaaten können die Voraussetzungen für die Ausübung und die Umsetzung dieses Anspruchs festlegen, sie dürfen dabei aber den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei ordnungsgemäߟ krankgeschriebenen Arbeitnehmern nicht von der Voraussetzung abhängig machen, dass sie während des von diesem Staat festgelegten Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet haben. Die Richtlinie unterscheidet nämlich nach Auffassung des EUGH nicht zwischen Arbeitnehmern, die während des Bezugszeitraums wegen Krankheit der Arbeit ferngeblieben sind, und solchen, die während dieses Zeitraums tatsächlich gearbeitet haben (Urt. v. 20.01.2009- C-350/06 und C-520/06 „Schultz-Hoff u.a“ ).

Unmittelbare Wirkung der Richtlinie -€“ richtlinienkonforme Auslegung

Die nationalen Gerichte müssen  bei der Anwendung des nationalen Rechts dieses soweit wie möglich anhand des Wortlautes und des Zwecks der Richtlinie auslegen müssen. Sollte eine solche richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts jedoch nicht möglich sein, muss das nationale Gericht prüfen, ob ein Arbeitnehmer sich unmittelbar auf die Richtlinie berufen kann. Die Bestimmungen der Richtlinie sind inhaltlich unbedingt und hinreichend genau, damit sich der Einzelne vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen kann. Das gilt auch gegenüber einem öffentlichen (staatlichen) Arbeitgeber. Dann, so der EUGH, müsse das nationale Gericht jede entgegenstehende innerstaatliche Rechtsvorschrift unangewendet lassen.

Gegenüber einem privaten Arbeitgeber könne die Richtlinie dagegen nicht unmittelbar geltend gemacht werden; die Arbeitnehmerin könne aber eine Haftungsklage gegen den Staat erheben, um den Schaden ersetzt zu bekommen, der ihr wegen Verletzung ihres Rechts aus der Richtlinie auf bezahlten Jahresurlaub entstanden ist (Urt. v. 19.11.1991- C-6/90 und C-9/90 „Francovich u.a.“).

 

Praktische Bedeutung

Die Entscheidung präzisiert die europarechtlichen Vorgaben bei der Urlaubsgewährung und macht deutlich, dass der Mindesturlaub von 4 Wochen auch bei Krankheit gewährt werden muss. Gesetzliche, tarifliche oder einzelvertragliche Regelungen, die dahinter zurückbleiben sind unzulässig.




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