EuGH: Urlaubsabgeltung auch bei Tod
Beim Tod des Arbeitnehmers nicht genommener Urlaub verfällt nicht. Die Erben können eine Urlaubsabgeltung verlangen. Das hat der Europäische Gerichtshof (EUGH) am 12.06.2014 (EuGH, Urteil vom 12.06.2014 – C-118/13) entschieden und damit erneut eine jahrzehntelange deutsche Rechtsprechung pulverisiert.
Kein Verfall des Urlaubsanspruches
Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub geht mit seinem Tod nicht unter. Das Unionsrecht steht einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegen, die für den Fall des Todes des Arbeitnehmers die Abgeltung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub ausschließen, so der EUGH.
Rechtsgrundlage ist die Richtlinie über die Arbeitszeitgestaltung (RL 2003/88/EG). Danach hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen. Dieser Urlaub muss in bezahlter Freizeit gewährt und darf nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.
Der konkrete Fall
Der Arbeitnehmer Gülay Bollacke konnte wegen einer schweren Erkrankung seinen Urlaub nicht nehmen. Er war seit 2009 arbeitsunfähig. Er starb am 19.11.2010. Da hatte er 140,5 Tage offenen Jahresurlaub. Seine Witwe forderte als Erbin vom Arbeitgeber eine Abgeltung für den nicht genommenen Jahresurlaub. Der Arbeitgeber wollte die Abfindung nicht bezahlen. Er meinte, der Urlaubsanspruch sei mit dem Tod erloschen und könne auch nicht vererbt werden. Das entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG).
Das Landesarbeitsgericht hatte Zweifel, ob diese jahrzehntelange Rechtsprechung mit Europarecht zu vereinbaren ist. Es hat deshalb dem EUGH die Rechtsfrage vorgelegt, ob das Unionsrecht einzelstaatliche Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten erlaubt, die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Abgeltungsanspruch für nicht genommenen Urlaub untergehen lässt. Und, ob für eine etwaige Abgeltung ein Antrag des Arbeitnehmers vor seinem Tod erforderlich ist.
Die Entscheidung des EUGH: Wegen Krankheit nicht genommener Urlaub muss ausbezahlt werden
Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ist ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts, so der EUGH. Die Ansprüche auf Jahresurlaub und auf Bezahlung während des Urlaubs sind zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs (vgl. EuGH, Urt. v. 20.01.2009 – C-350/06 und C-520/06 „Schultz-Hoff u.a.“). Der EuGH habe bereits früher entschieden, dass der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abgeltung für nicht genommenen Urlaub erhalten müsse, um zu verhindern, dass ihm jeder Genuss des Anspruchs auf Urlaub vorenthalten wird (EuGH, Urt. v. 03.05.2012 – C-337/10 „Neidel“). Das Unionsrecht stehe einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegen, nach denen dem Arbeitnehmer am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung geschuldet wird, obwohl er krankheitsbedingt nicht in den Genuss seines bezahlten Jahresurlaubs kommen konnte.
Das gelte auch beim Tod des Arbeitnehmers. Der Begriff des bezahlten Jahresurlaubs bedeute, dass für die Dauer des Jahresurlaubs das Entgelt des Arbeitnehmers fortzuzahlen sei. Das wäre nicht der Fall, wenn der Urlaubsanspruch ohne Abgeltung beim Tod des Arbeitnehmers unterginge. Deshalb müsse ein finanzieller Ausgleich im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers die praktische Wirksamkeit des Urlaubsanspruchs gewährleisten.
Der Anspruch darf auch nicht von einem vorherigen Antrag des Arbeitnehmers vor seinem Tod abhängig gemacht werden. Die Richtlinie sehe als einzige Bedingung für den finanziellen Ausgleich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor, aber keinen ausdrücklichen Antrag im Vorfeld, so der EUGH.
Praktische Konsequenz
Mit dieser Entscheidung ist erneut eine jahrzehntelange gefestigte Rechtsprechung des BAG Makulatur. Wegen Krankheit nicht genommener Urlaub verfällt auch beim Tod des Arbeitnehmers nicht mehr. Die Urlaubsabgeltung muss aber von den Erben verlangt werden. Wenn im Arbeitsverhältnis Ausschlussfristen vereinbart sind (arbeitsvertraglich oder durch Tarifvertrag) müssen diese beachtet werden. Im Regelfall betragen sie drei Monate und verlangen die Schriftform. Sonst gilt die Verjährung von drei Jahren. Nach der neueren Rechtsprechung des BAG verfällt nicht genommener Urlaub aber weiterhin spätestens 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres. Es kann danach also immer nur um höchstens zwei Jahresurlaube gehen.
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