Berufsunfähigkeit: BGH fordert detaillierte Beschreibung der Verweisungstätigkeiten

Nach dem Wegfall der Berufsunfähigkeitsrente in der gesetzlichen Rentenversicherung kommt der privaten Vorsorge erhöhte Bedeutung zu. In der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung liegt Berufsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte seinen Beruf oder eine sozial zumutbare Verweisungstätigkeit länger als 6 Monate nicht mehr ausüben kann. Ob und auf welche Tätigkeit der Versicherer den Versicherten verweisen kann, ist vielfach streitig. Dabei wird häufig der Verweisungsberuf nicht genau genug bezeichnet. Das hat jetzt der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 23.01.2008 bemängelt.

In der Entscheidung vom 23.01.2008 hat der 4. Zivilsenat des BGH die Anforderungen an die Darlegungslast des Versicherers näher konkretisiert und festgestellt, dass ein ärztliches Sachverständigengutachten und gefordert, dass ein Versicherer, der den Versicherungsnehmer auf eine andere Tätigkeit verweisen will, das detailliert begründen muss. Geklagt hatte ein Lkw-Fahrer, der im Fernverkehr tätig war. Das war ihm nicht mehr möglich und die Versicherung hatte ihn auf eine Tätigkeit als Auslieferungsfahrer im Nahverkehr verwiesen. Das wollte er nicht hinnehmen und hatte geklagt und verloren. Auf seine Revision hob der BGH die Entscheidung der Vorinstanz auf und verwies den Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung bezüglich der Verweisungstätigkeit zurück an das Oberlandesgericht Celle. Im Leitsatz der Entscheidung heiߟt es:
„Der vom Tatrichter beauftragte medizinische Sachverständige, der sich dazu äuߟern soll, ob der Versicherungsnehmer gesundheitlich in der Lage ist, einen Verweisungs-beruf auszuüben, muss wissen, welchen für ihn unverrückbaren außermedizinischen Sachverhalt er zugrunde zulegen hat, also insbesondere welche Merkmale – Arbeitsbedingungen wie Arbeitsplatzverhältnisse und Arbeitszeiten, erforderliche Tätigkeiten und körperliche Kräfte, Einsatz von Hilfsmitteln – die Verweisungstätigkeit prägen.“
Vollständige Berufsunfähigkeit liegt gemäߟ § 2 Abs.1 BB-BUZ vor, wenn der Versicherte infolge ärztlich nachzuweisender Krankheit, Körperverletzung etc. voraussichtlich länger als sechs Monate außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht.
Der Versicherer, der den Versicherungsnehmer auf eine andere berufliche Tätigkeit verweisen möchte, muss also die prägenden Elemente des Verweisungsberufs genau benennen. Das sind vor allem
-die erforderliche Vorbildung,
-übliche Arbeitsbedingungen wie Arbeitsplatzverhältnisse und Arbeitszeiten,
-übliche Entlohnung,
-erforderliche Fähigkeiten und körperliche Kräfte und
-Einsatz technischer Hilfsmittel.
Nach dem Urteil des BGH ist eine solche substantiierte Darlegung durch den Versicherer Voraussetzung dafür, dass ein medizinischer Sachverständiger beauftragt werden kann. Denn nur dann ist der in die Lage, zu beurteilen, ob der Versicherte eine bestimmte Verweisungstätigkeit ausüben kann.
Ergänzend stellt der BGH klar, dass zwar an sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt bei der Feststellung der Berufsunfähigkeit keine Rolle spielen soll. Dennoch darf der Versicherer nicht auf sog. Nischenarbeitsplätze verweisen oder auf Tätigkeiten, die auf dem Arbeitsmarkt nur in so geringer Zahl bereit stehen, dass von einem Arbeitsmarkt praktisch nicht mehr die Rede sein kann (BGH, Urteil vom 23.1.2008, IV ZR 10/07

Mit dieser Entscheidung greift der BGH die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Verweisbarkeit bei der Erwerbsminderungsrente auf und rückt grundsätzliche methodische Fragen des Zivilprozesses wieder in den Vordergrund, die in der Praxis oft nicht hinreichend beachtet werden. Der ärztliche Sachverständige kann nur zu medizinischen Fragestellungen fachkundige Aussagen treffen, berufskundliche Kenntnisse hat er im allgemeinen nicht. Deshalb ist es richtig, wenn zuvor subtantiierte Angaben zu der angeblichen Verweisungstätigkeit gefordert werden. Vielfach wird zusätzlich ein berufskundliches Gutachten erforderlich sein, um festzustellen, ob der Versicherte mit seinen Kenntnissen und Fähigkeiten überhaupt den Verweisungsberuf ausüben kann. Wenn die Versicherung nicht ausreichend den Verweisungsberuf beschreibt, auf den sie den Versicherten verweisen will, sollte dieser sich das nicht gefallen lassen und – nach entsprechender rechtlicher und medizinischer Beratung – sein Recht vor Gericht suchen. Mit dieser Entscheidung des BGH sind die Chancen, einen solchen Prozess zu gewinnen, deutlich gestiegen.




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