Anspruch auf Vorstellungsgespräch für Schwerbehinderte?
Schadensersatz für schwerbehinderte Bewerber, die nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden sind.
Ein öffentlicher Arbeitgeber muss einen schwerbehinderten Menschen, der sich auf eine ausgeschriebene Stelle beworben hat, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Das gilt nicht, wenn dieser offensichtlich fachlich nicht für die Stelle geeignet ist. Allerdings muss der Bewerber auf seine Schwerbehinderung hingewiesen haben. Eine unterbliebene Einladung indiziert die Vermutung, der Bewerber sei wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden; diese Vermutung kann der Arbeitgeber durch Beweis des Gegenteils widerlegen. Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden (BAG 16.2.2012, 8 AZR 697/10).
Die Entscheidung:
Der schwerbehinderte Kläger bewarb sich auf eine Ausschreibung der Bundespolizeidirektion Flughafen Frankfurt a.M. als „Pförtner/Wächter“. In seiner Bewerbung wies er auf seinen GdB (Grad der Behinderung) von 60 hin.
Nach einer bei dem Arbeitgeber bestehenden Integrationsvereinbarung kann von einer Einladung schwerbehinderter Bewerber zum Auswahlverfahren abgesehen werden, wenn zwischen Zentralabteilung, Schwerbehindertenvertretung und Gleichstellungsbeauftragter Einvernehmen besteht, dass der Bewerber für den freien Arbeitsplatz nicht in Betracht kommt.
Die Bundespolizeidirektion sah im Einvernehmen mit den zu beteiligenden Stellen von einer Einladung des schwerbehinderten Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch ab. Dieser sieht sich dadurch wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt und verlangt eine Entschädigung in Hhe von rund 5.700 €.
Das BAG hat die Entscheidung des LAG bestätigt. Dieses hatte dem Bewerber eine Entschädigung von 2.700 € zugesprochen. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BAG keinen Erfolg. In der Pressemitteilung heißt es dazu:
„Die Bundespolizeidirektion hätte den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einladen müssen, weil durch die Integrationsvereinbarung das Recht des schwerbehinderten Bewerbers auf ein Vorstellungsgespräch nicht eingeschränkt werden sollte. Deshalb besteht die Vermutung, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden ist. Diese Vermutung hat die Beklagte nicht durch Tatsachen widerlegt, die keinen Bezug zur Schwerbehinderung des Klägers und zu dessen fachlicher Eignung haben. Nur auf solche hätte sich die Beklagte mit Erfolg berufen können, weil § 82 Satz 3 SGB IX hinsichtlich der Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch abschließenden Charakter hat. Die gegen die Höhe der ausgeurteilten Entschädigung gerichtete Revision des Klägers hat der Senat aus formalen Gründen als unzulässig verworfen. “
Praktische Konsequenz der Entscheidung
Es handelt sich um ein Spezialproblem öffentlicher Arbeitgeber. Für diese allein gilt die Einladungspflicht zum Vorstellungsgespräch nach § 82 SGB IX. Generell und auch für alle anderen Entschädigungsansprüche nach dem AGG von Bedeutung ist aber die Beweislastregelung, die das BAG auch in diesem Fall angewandt hat: Gibt es Indizien für eine Diskriminierung, muss der Arbeitgeber den Nachweis führen, dass er aus sachlichen Gründen gehandelt hat und demzufolge keine Diskriminierung erfolgt ist.
Für die Geltendmachung des Entschädigungs- und Schadensersatzanspruchs gilt nach § 15 Abs. 4 AGG eine Frist von zwei Monaten ab Zugang der Ablehnung. Der Anspruch muss schriftlich geltend gemacht werden. Bei anderen Benachteiligungen als Bewerbungen beginnt die Frist mit der Kenntnis von der Benachteiligung.
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