Betriebsbedingte Kündigung und Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer als selbständige Unternehmer?

04.04.2008  • Arbeitsrecht

A. Das Problem
Die Grenzziehung zwischen freier Unternehmerentscheidung und Rücksichtnahme auf die Arbeitnehmerinteressen ist vielfach umstritten. Arbeitgeber versuchen immer wieder, betriebsbedingt zu kündigen, obwohl der Bedarf an Arbeit nach wie vor besteht. Vielfach werden dazu Betriebsteile ausgegliedert (Outsourcing) oder die Arbeiten an vorgeblich selbständig tätige Unternehmer vergeben. Letzteres hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) für zulässig erklärt (Urteil vom 13. März 2008 – 2 AZR 1037/06 – „Moskitoanschlägerentscheidung“).
B. Die Entscheidung
Der vom BAG entschiedene Fall betraf ein Unternehmen der Städtewerbung, das u.a. sog. „€žMoskito-Anschläger“beschäftigte. „€žMoskitos“€œ sind Klapprahmen, in die Werbeplakate eingespannt werden. Das Unternehmen beschloss, die Anschläge nicht mehr durch eigene Arbeitnehmer anbringen zu lassen. Mit dem Betriebsrat vereinbarte der Arbeitgeber einen Interessenausgleich, wonach den als „€žMoskito-Anschlägern“€œ beschäftigten Arbeitnehmern gekündigt und eine Beschäftigung als selbständige Unternehmer angeboten werden sollte. Das BAG hat die betriebsbedingten Kündigungen grundsätzlich für zulässig angesehen und das lt. Pressemitteilung vom 13.03.2008 u.a. wie folgt begründet:
„Betriebsbedingte Gründe, die eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG rechtfertigen, liegen vor, wenn das Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer entfällt. Das ist ua dann der Fall, wenn der Arbeitgeber den Betrieb reorganisiert und nach dem neuen Konzept die bisherige Tätigkeit nicht mehr anfällt. Die Umgestaltung wird als sog. freie Unternehmerentscheidung von den Gerichten für Arbeitssachen nicht auf ihre organisatorische oder betriebswirtschaftliche Zweckmäߟigkeit überprüft, sondern allein darauf, ob sie willkürlich oder sonst missbräuchlich erfolgt ist. Entschlieߟt sich der Arbeitgeber, bisher von Arbeitnehmern ausgeübte Tätigkeiten in Zukunft nicht mehr durch Arbeitnehmer, sondern durch selbständige Unternehmer ausführen zu lassen, so entfällt in diesem Umfang das bisherige Beschäftigungsbedürfnis für Arbeitnehmer und ein betriebsbedingter Kündigungsgrund liegt vor….Die von der Beklagten vorgenommene Neuordnung war nicht willkürlich oder sonst missbräuchlich. Für sie sprachen nachvollziehbare Erwägungen. Die den bisher als Arbeitnehmern beschäftigten „€žMoskito-Anschlägern“€œ angebotenen Verträge sind keine Arbeitsverträge. Die nach diesen Verträgen für die Beklagte Tätigen unterliegen nicht dem für Arbeitsverhältnisse kennzeichnenden Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Ort und Art und Weise der Arbeitsleistung. außerdem müssen sie die Leistungen nicht in Person erbringen, sondern können sie auch durch Dritte (zB Arbeitnehmer) erbringen lassen.“
C. Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil bestätigt die Tendenz des BAG, der freien Unternehmerentscheidung groߟen Raum zu geben und diese tatsächlich auf eine Miߟbrauchskontrolle zu beschränken. Ob damit den Arbeitnehmerinteressen am Erhalt eines rechtlich geschützten Arbeitsverhältnisses ausreichend Rechnung getragen wird, mag durchaus bezweifelt werden. Diese Entscheidung erleichtert jedenfalls das Herausdrängen von Arbeitnehmern in scheinselbständige Tätigkeiten. Der einzelne Arbeitnehmer wird so noch mehr zum Unternehmer in Bezug auf seine Ware „Arbeitskraft“. Aus Arbeitnehmersicht wird es in der Praxis nach dieser Entscheidung noch mehr darauf ankommen, im konkreten Fall eine Umgehung des Arbeitnehmerschutzes etwa durch eine nur scheinbare Selbständigkeit der ehemaligen Arbeitnehmer nachzuweisen, um die Miߟbrauchskontrolle zu aktivieren. Arbeitgeber, denen es egal ist, wie und von wem im Einzelnen die Arbeit verrichtet wird, können sich mehr Flexibilität im Personalkostenbereich schaffen.




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