Widerrufsmöglichkeit für Darlehen ab Juni 2010

01.04.2020  • Allgemein

Europäischer Gerichtshof sieht Standardformulierung in Darlehensverträgen zur Widerrufsbelehrung als fehlerhaft an - Lösungsmöglichkeit von Krediten für viele Verbraucher*innen

Ein einziges Urteil kann hunderte Seiten juristischer Kommentare hinfällig machen. Dieser Gedanke kam mir bei einer aktuellen Entscheidung vom 26.3.2020 des Europäischen Gerichtshofs, Aktenzeichen: EuGH C-66/19 zur Frage des Widerrufs von Darlehensverträgen. Ein Thema was Banken, Kreditnehmer und natürlich auch Jurist*inn*en schon seit vielen Jahren beschäftigt.

Der Hintergrund

Den Verbraucher*inne*n steht schon seit vielen Jahren in weiten Bereichen des Rechtsverkehrs ein Widerrufsrecht zu. Vorschnelle oder nicht sofort überprüfbare Entscheidungen wie beim Kauf an der Haustür oder im Internet sollen so noch einmal überdacht werden können. Der deutsche Gesetzgeber hat sich darüber hinaus entschlossen im Bereich des Darlehensrechts, also der Kreditvergabe, eine europarechtlich eröffnete Möglichkeit zu nutzen und auch hier ein – regelmäßig vierzehntägiges – Widerrufsrecht einzuräumen. Eine aus meiner Sicht sinnvolle Maßnahme, da es meist um langfristige und finanziell bedeutsame Entscheidungen geht.

Das Problem

Leider gab es bei der gesetzlichen Umsetzung dieses Widerrufsrechts von Anfang an Schwierigkeiten, die Ihren Höhepunkt frühzeitig schon darin hatten, dass ein amtliches Muster fehlerhaft war. Weiter taten sich die Banken und Bausparkassen schwer die zugegebenermaßen nicht ganz einfachen gesetzlichen Vorgaben ordnungsgemäß umzusetzen. Folge war, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen begann und man in Fachkreisen von einem „unendlichen Widerrufsrecht“ sprach. Mittlerweile schienen aber eigentlich die wesentlichen Probleme aufgrund gesetzgeberischer Korrekturen und einer besseren Formulierungspraxis im Griff. Nun hatte aber der EuGH auf eine Vorlage des Landgerichts Saarbrücken zu klären, ob eine absolut übliche Formulierung in Verträgen auch tatsächlich eine klarverständliche Aufklärung über das Widerrufsrecht darstellte.

Die konkrete Widerrufsbelehrung

In der Entscheidung wurde folgende Formulierung hinterfragt:

„„Widerrufsrecht

Der Darlehnsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen

in Textform (z. B. Brief, Fax, EMail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags,

aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben

zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten

hat. …“

Nun auf den ersten Blick ganz einfach. Das Widerrufsrecht läuft 14 Tage und beginnt mit Abschluss des Vertrages, wenn, ja wenn die Pflichtangaben aus § 492 Abs. 2 BGB mitgeteilt wurden. Das kann ja nicht so viel sein und wird man leicht finden; denkt man jedenfalls. Leider steht in § 492 Abs. 2 BGB, aber folgendes:  Der Vertrag muss die für den Verbraucherdarlehensvertrag vorgeschriebenen Angaben nach Artikel 247 §§ 6 bis 13 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche enthalten.

Auf eine weitere Zitierung verzichte ich hier, aber man kann sich vorstellen, dass die dort genannten Paragraphen nun doch nicht so ganz übersichtlich sind; und interessanter Weise auch wieder zurück ins Bürgerliche Gesetzbuch führen.

Die Entscheidung

Der EuGH hat nun in bewundernswerter Deutlichkeit und Kürze festgestellt, dass diese Verweisungskette es dem Kunden unmöglich macht, den Lauf der Widerrufsfrist zu bestimmen. Entgegen dem Gesetzeswortlauf ist diese Information daher nicht „klar und prägnant“. Dies hat zur Folge, dass die Belehrung fehlerhaft ist und – so muss man als Folge jedenfalls unterstellen – die Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen hat. Diesen letzten Schritt wird allerdings das Landgericht Saarbrücken noch vollziehen müssen.

Das Ergebnis

Stand jetzt wird man guten Gewissens annehmen können, dass Verträge mit dieser Formulierung noch widerrufen werden können. Dennoch empfiehlt sich vorab eine juristische Klärung und sind vor allem – was oft vergessen wird – auch die wirtschaftlichen Folgen zu bedenken. Der Widerruf führt ja nicht dazu, dass man nichts mehr zurückzahlen muss, sondern nur dazu dass der Vertrag rückabgewickelt wird. Vor allem müssen die noch offenen Darlehensvaluta wieder erstattet werden. Rein rechnerisch ist dies meist aber eine günstige Möglichkeit, gerade im jetzt günstigen Zinsumfeld.

Die Risiken

Ein wirtschaftliches Risiko wurde schon angedeutet: Wenn die Bank den Widerruf akzeptiert – und auch das kommt vor -, muss innerhalb kurzer Zeit das Darlehen zurückgezahlt werden.

Juristisch besteht das Risiko, dass der Widerruf anderweitig verwirkt wurde oder aber die Rechtsprechung – wie auch schon früher – einen Vertrauensschutz der Banken annimmt. Ist dies der Fall, bleibt nur das Zitat von oben: Ein einziges Urteil…

Nachtrag – noch etwas am Rande

Rechtspolitisch und verbraucherschutzrechtlich bedenklich ist noch folgender Punkt: Die Bundesregierung gab im Verfahren eine Stellungnahme ab, wonach Europarecht nicht anwendbar sei und der EuGH unzuständig. Hierzu stellte sich das Gericht ebnfalls deutlich auf Seiten einer einheitlichen europarechtskonformen Rechtsanwendung und auf die Seite der Verbraucher*innen in Deutschland.




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