Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bei der Vorlage von mehreren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen über den 6-Wochen-Zeitraum hinaus
In der Arbeitswelt kommt es häufig vor, dass Arbeitnehmer aufgrund gesundheitlicher Probleme mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen hintereinander erhalten. In solchen Fällen stellt sich die Frage nach der Monokausalität: Ist jede Arbeitsunfähigkeit auf eine einzelne Ursache zurückzuführen, oder gibt es einen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Erkrankungen?
Dieser Artikel beleuchtet die rechtlichen Aspekte und Herausforderungen, die sich aus mehreren aufeinanderfolgenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ergeben.
Was ist Monokausalität?
Monokausalität bezeichnet die Annahme, dass eine einzige Ursache für eine bestimmte Erkrankung verantwortlich ist. In der medizinischen Im rechtlichen Kontext ist die Monokausalität besonders relevant, wenn es darum geht, die Haftung für eine Erkrankung zu klären, etwa in Fällen von Berufskrankheiten oder Unfällen oder aber im Rahmen von Lohnfortzahlungsansprüchen über den Zeitraum von 6 Wochen hinaus bei Neuerkrankungen.
Monokausalität und ihre Relevanz
Die Monokausalität spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Ursache für die wiederholte Arbeitsunfähigkeit zu bestimmen. In der Rechtsprechung wird häufig geprüft, ob bei mehreren AU-Bescheinigungen diese auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen sind oder ob jede Bescheinigung für sich betrachtet werden muss – danach entscheidet sich die Entgeltlohnfortzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers im Krankheitsfall, ggf. auch über den 6-Wochen-Zeitraum hinaus.
Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung für eine Erkrankung auf die Dauer von sechs Wochen begrenzt. Sofern der Sechs-Wochen-Zeitraum für diese Krankheitsursache ausgeschöpft ist, besteht kein Anspruch mehr auf Entgeltfortzahlung. Der Arbeitgeber kann dann die Entgeltfortzahlung verweigern, es sei denn, dass nach § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EFZG eine Fortsetzungserkrankung erst nach sechs Monaten seit Beendigung der vorherigen Arbeitsunfähigkeit mit demselben Grundleiden wieder eintritt oder nach § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 EFZG seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten bereits abgelaufen ist.
Der Arbeitgeber kann sich – soweit die genannten Ausnahmen nicht eingreifen – gegenüber dem Arbeitnehmer auf das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung berufen, sofern er davon ausgeht, dass der gegenwärtigen Erkrankung dasselbe Grundleiden einer bereits zuvor aufgetretenen Erkrankung zugrunde liegt.
Beweiserleichterung für den Arbeitgeber: Abgestufte Darlegungslast des Arbeitnehmers
Wenn der Arbeitnehmer dann auf Entgeltfortzahlung klagt, trägt der Arbeitgeber im Prozess die Beweislast für eine Fortsetzungserkrankung. Aber wie soll er – ohne Kenntnis der Krankheitsursachen – beweisen können, dass die Krankheiten auf demselben Grundleiden beruhen?
Das Bundesarbeitsgericht hat diese Schwierigkeit in seinem Urteil vom 18. Januar 2023 – 5 AZR 93/22 erkannt. Damit der Arbeitgeber seiner Beweislast nachkommen kann, weist das Bundesarbeitsgericht dem Arbeitnehmer eine abgestufte Darlegungslast der Krankheitsursachen zu. Danach muss der Arbeitnehmer zunächst darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung besteht. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung (z.B. Erstbescheinigung) vorlegen. Der Arbeitgeber kann dann bestreiten, dass eine neue Erkrankung vorliegt. Dafür ist aber Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer innerhalb der sechs- bzw. zwölf-monatigen Zeiträume des § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig ist. Der Arbeitnehmer hat daraufhin Tatsachen vorzutragen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden.
Substantiierter Tatsachenvortrag des Arbeitnehmers erforderlich
Der Arbeitnehmer muss bei Bestreiten des Arbeitgebers substantiiert zu den Krankheitsursachen vortragen. Dies umfasst eine laienhafte Schilderung für den gesamten maßgeblichen Zeitraum hinsichtlich der gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden und deren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers. Dabei könnten dem Arbeitnehmer die behandelnden Ärzte als Zeugen dienen, die er dafür von der Schweigepflicht entbinden muss. Erst dann ist der Arbeitgeber in der Lage und verpflichtet, substantiiert vorzutragen und zu beweisen, warum dennoch eine Fortsetzungserkrankung vorliegt.
Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Mitteilungen der Krankenkasse für die Darlegung des Arbeitnehmers nicht ausreichend
Das Bundesarbeitsgericht stellt dabei hohe Anforderungen an den Tatsachenvortrag des Arbeitnehmers. Insbesondere stellt es klar, dass es nicht ausreichend sei, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für diese Zeiträume vorzulegen oder nur auf die Diagnoseschlüssel nach der ICD-10-Klassifikation zu verweisen. Dies ist nachvollziehbar, da der Diagnoseschlüssel lediglich das Krankheitsbild wiedergibt. Daraus lassen sich jedoch nicht immer Rückschlüsse auf die Krankheitsursachen ziehen, die für das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung jedoch entscheidend sind. Zudem kann eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die von einem neuen Arzt ausgestellt worden ist, keine Aussage über das (Nicht-)Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung treffen, da der Arzt den Arbeitnehmer zuvor noch nicht behandelt hat.
Ferner reichen auch die Mitteilungen der Krankenkasse, ob eine Vorerkrankung vorgelegen hat, nicht aus. Denn weder der Arbeitgeber noch das Gericht sind an diese Mitteilungen der Krankenkasse gebunden. Das ist konsequent, da der Arbeitgeber die Richtigkeit der Mitteilungen nicht überprüfen kann und die Anfragen an die Krankenkasse nur für gesetzlich Versicherte in Betracht kommen.
Die Betrachtung von Monokausalität bei mehreren aufeinanderfolgenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist ein komplexes Thema, das sowohl medizinische als auch rechtliche Aspekte umfasst. Eine sorgfältige Analyse der Ursachen und der Zusammenhänge ist entscheidend, um eine gerechte Bewertung und Entscheidung zu treffen.
Bei Unsicherheiten oder rechtlichen Fragen ist es daher ratsam, sich an einen Fachanwalt für Arbeitsrecht zu wenden, der die spezifischen Umstände des Einzelfalls anhand der Rechtsprechung beurteilen kann.
Wenn Sie weitere Informationen oder spezifische Fragen zu diesem Thema haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung!
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